Produktiver Wettbewerb zur Verbesserung der Sportwissenschaft
Grußwort des dvs-Präsidenten Prof. Dr. Bernd Strauß zur Eröffnung der Jahrestagung der dvs-Sektion Sportsoziologie am 17. September 2008 an der Technischen Universität Chemnitz
Ich darf Sie im Namen der dvs ganz herzlich zu Ihrer jährlichen Tagung der Sektion Sportsoziologie hier in Chemnitz begrüßen und darf mich ganz herzlich bei Siegfried Nagel und seinen Kolleginnen und Kollegen im Chemnitzer Institut bedanken, dass sie die Ausrichtung dieser Tagung übernommen haben. Noch ausdrücklicher muss der Dank ausfallen, wenn man berücksichtigt, dass es für Kollegen Nagel und wahrscheinlich auch für den einen oder anderen im Institut, der davon betroffen war, mit seinem Ruf nach Bern und dem Umzug dahin, nicht einfach war, gleichzeitig diese Tagung verantwortlich zu organisieren. Daher mein großer Respekt und Dank an Dich, die Kolleginnen und Kollegen und das Institut, dass es gelungen ist, ein so umfängliches und hochwertiges Programm zu organisieren.
Obwohl ich ja nun fast auf den Tag genau fünf Jahre Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft in der dritten Amtszeit bin - und am Rande erwähnt: damit auch das letzte Jahr meiner Präsidentschaft beginnt und wir zur Zeit auch auf der intensiven Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger sind - sind es für mich tatsächlich heute zwei Premieren, die aber gleichzeitig zwei sehr gute Gründe sind, nach Chemnitz zu kommen: Zum einen ist es überhaupt das erste Mal, dass ich heute in Chemnitz bin und zum anderen auch, dass ich zum ersten Mal eine Tagung der Sektion Sportsoziologie besuche und ein Grußwort als Präsident der dvs spreche. Aber neben diesen beiden Premieren und natürlich meiner ungeteilten Wertschätzung der Sportsoziologie als ein wichtiges und unverzichtbares Teilgebiet innerhalb der Sportwissenschaft und der dvs gibt es mit auch Gelegenheit, einige Bemerkungen zu Veränderungen und Herausforderungen für die Sportwissenschaft zu machen.
Sportwissenschaft an den Universitäten und Hochschulen
Die Universitäten und Hochschulen als wichtigste wissenschaftliche Institutionen befinden sich national wie international in einem der größten Umgestaltungsprozesse in den letzten Jahrzehnten. Dies betrifft die Forschung, die Lehre und die gesamte Binnenstruktur einer Hochschule in gleicher Weise. Von diesen Veränderungen ist natürlich auch die Sportwissenschaft an den Universitäten betroffen - und das hier nur nebenbei: letztlich auch die weiteren Forschungseinrichtungen wie das IAT, oder das FES, die Koordinierungseinrichtungen wie das BISp und mittelbar natürlich auch die Sportverbände, die Schulträger usw.
Die Sportwissenschaft an den Universitäten und Hochschulen selbst muss Antworten auf die aktuellen Herausforderungen an den Universitäten finden, die andere sind als in den Sechziger und Siebziger Jahren, als es um die Gründung der Sportwissenschaft und später - in den Achtziger und Neunziger Jahren - um die Konsolidierung und um den Ansehenszuwachs der Sportwissenschaft als vollwertiges Fach mit Promotions- und Habilitationsrecht an den Universitäten ging.
Die bedeutende Rolle wie früher haben übrigens heute weder der DOSB noch das BISp mehr inne. Beide sind zwar nach wie vor wichtige Partner der Sportwissenschaft, aber das Verhältnis muss beidseitig neu gestaltet und neu gefunden werden, wobei wir hierbei auf einem sehr guten Weg sind.
Wir stehen an den Universitäten vor der Herausforderung eines flächendeckenden Dezentralisierungsprozesses, in dem sowohl zwischen den einzelnen Standorten als auch zwischen den Fächern innerhalb einer Universität ein erheblicher Wettbewerbsdruck herrscht. Es gibt die klare Notwendigkeit der Profilbildung an den Universitäten mit allen Konsequenzen. Rezepte wie z.B. die Idee einer zentralen Steuerung der universitären Sportwissenschaft, wie sie vielleicht in den Gründer- und Konsolidierungsjahren Erfolg versprechend waren, greifen heute nicht mehr. Insofern sind andere Konzepte als Zentralisierungskonzepte notwendig, um tatsächlich und erfolgreich den Schwung und Veränderungen der Universitäten erfolgreich für die Sache der Sportwissenschaft und des Sports zu nutzen.
Es geht jetzt um die historische Gelegenheit, die Dezentralität als Chance für produktiven Wettbewerb und zur Verbesserung sportwissenschaftlicher Leistungen für den Sport zu begreifen. Und produktiver Wettbewerb wird nur über Anreizsysteme realisiert und initiiert, in denen diejenigen, die im Wettbewerb stehen, auch die prinzipielle Chance sehen, zum Zuge zu kommen. Es geht letztlich um fair gestaltete Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern bei größtmöglicher Kooperation unter ihnen.
Die Universitäten sind mittlerweile Unternehmen in eigener Sache, denen zwar der rechtliche Rahmen (bspw. die Einführung konsekutiver Studiengänge, die Einführung der W-Besoldung oder des Globalhaushalts) seitens des Bundes oder der Länder vorgegeben werden, die konkrete Ausgestaltung liegt aber inhaltlich wie formal bei den einzelnen Universitäten selbst - sieht man vielleicht noch von einigen wenigen Bundesländern ab. So schreiben in vielen Fällen konsequenterweise Ministerien nicht mehr vor, wie konkret z.B. eine Sportlehrerausbildung aussieht, welche Masterstudiengänge realisiert werden ob und wie welche Professur ausgeschrieben, besetzt und bezahlt wird - und auch nicht, welches Fach an welcher Universität zu finden ist.
Forschungsanträge bei der DFG: Originalität und Qualität entscheiden
Es gibt die klare Notwendigkeit der Einwerbung von substanziellen Drittmitteln in relevanter Höhe - vorzugsweise von der DFG, aber auch vom BMBF oder von der EU. Erlauben Sie mir einen Exkurs zur Deutschen Forschungsgemeinschaft: Die DFG ist der zentrale Motor der Wissenschaftsentwicklung in Deutschland. Sich als Sportwissenschaft von der DFG abzukoppeln hieße, als Fach die Wissenschaftsentwicklung an den Universitäten zu verpassen. Sich nicht bei der DFG mit verschiedensten Forschungsanträgen zu engagieren, hieße, die neuen Herausforderungen nicht anzunehmen und damit mittelfristig die Position des Faches an der Universität zu gefährden. Übrigens ist es blanker Unsinn, die DFG würde keine oder nur ungern sportwissenschaftliche Projekte mit oder ohne Relevanz für die Sportpraxis fördern. Für die Vergabe bei der DFG ist die Qualität und Originalität entscheidend - und wie sie die Peers, also die Gutachter, beurteilen. Dieser Nachsatz ist natürlich wichtig.
Die Peers beurteilen aber auch - und dies ist ein ebenso zentraler Punkt bei der DFG-Begutachtung - wie die Antragsteller sich bisher international und nachrangig national aufgestellt haben. Haben sie ihre Ergebnisse in Journals, am besten in englischsprachigen Zeitschriften (mit peer review) von Rang publiziert und ist diese internationale Sichtbarkeit mit der Vergabe des Projekts an die Antragsteller zu erwarten? Deshalb: DFG-Mittel positionieren die Sportwissenschaft positiv in der eigenen Universität im Wettbewerb um die Ressourcen mit anderen Fächern. Diese DFG-Mittel werden aber nur dann mit größerer Wahrscheinlichkeit eingeworben werden, wenn wiederum internationale und nationale Sichtbarkeit in Wettbewerbsverfahren in hochrangigen Zeitschriften gegeben oder mindestens zu erwarten ist.
Zurück zu den Universitäten und zu den fachwissenschaftlichen Vereinigungen: Der entsprechende Evaluationsdruck an den Universitäten wird weiter steigen - nicht nur im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes, sondern im Grunde an jeder Universität, für jedes Fach und damit auch für jede sportwissenschaftliche Institution. Alle wissenschaftlichen Leistungen, ob nun Publikationen oder die Einwerbung von Mitteln, werden noch verstärkter als bisher anhand verschiedenster Kennziffern intern wie extern bewertet werden und die Bedeutung des "Peer Review" und der Internationalisierung und Globalisierung wird, so wie in anderen Wissenschaften auch, in der Sportwissenschaft weiter zunehmen.
Wettbewerb und Evaluation - und die Rolle der dvs
Dies heißt aber auch, dass die Sportwissenschaft sich der Wettbewerbslogik der Universitäten und dem Wettbewerb untereinander und mit anderen Fächern, auch mit den so genannten Mutterwissenschaften, zu stellen hat. Die fachwissenschaftlichen Vereinigungen in allen Fächern müssen gerade in diesem Prozess eine besondere Rolle einnehmen.
Dies gilt im Besonderen auch für uns. Die dvs vertritt die Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler in Deutschland und ist das Sprachrohr der Sportwissenschaft. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler aus den gut 65 sportwissenschaftlichen Institutionen persönliches Mitglied in der dvs. Andere Fachgesellschaften wie die DGSP, die asp oder der AK Sportökonomie haben den Status einer Sektion in der dvs inne. In der dvs mit allen ihren Teilgebieten in 11 Sektionen und 12 Kommissionen, den ad-hoc-Ausschüssen und einem von allen Mitgliedern gewählten und damit legitimierten Präsidium ist die Kompetenz vorhanden und gebündelt, um die Sportwissenschaft weiterzuentwickeln und den Sport kompetent auf höchstem Niveau zu beraten. Um als Sportwissenschaft schlagkräftig zu sein, bedarf es daher auf der einen Seite diese Vielfalt und methodische Spezifität der Teildisziplinen zu fördern. Auch die sportwissenschaftlichen Teilgebiete stehen unter einander im Wettbewerb um Ressourcen in der Community und an den Universitäten und kämpfen um die Positionierung ihrer Teildisziplin.
Auf der anderen Seite darf dabei in jeder der Sektionen und Kommissionen nicht vergessen werden, dass es immer auch um Kooperation zwischen den Teildisziplinen geht und um die gemeinsame Identität als Sportwissenschaft. Ohne diese gemeinsame Idee einer Sportwissenschaft über die Teildisziplinen hinweg - sei sie inhaltlich oder strukturell verstanden - würden auch die einzelnen sportwissenschaftlichen Teildisziplinen mittelfristig an Bedeutung verlieren und allenfalls marginalisiert hier und da in den entsprechenden Muterwissenschaften wahrgenommen werden. Diese gemeinsame Idee drückt sich in den Universitäten in starken und sichtbaren gemeinsamen sportwissenschaftlichen Einrichtungen mit einzelnen Teildisziplinen unter einem Dach aus und in der dvs natürlich in einem handlungsfähigen und handlungsbereitem Präsidium, das seine operative Verantwortung nach innen und außen für die Sportwissenschaft wahrnimmt.
Die Weiterentwicklung und Festigung der Sportwissenschaft und ihrer institutionellen Standorte ist abhängig von der Bereitschaft, sich als Sportwissenschaft in den produktiven und fairen Wettbewerb mit anderen Fächern, aber auch untereinander zu begeben. Zu glauben, dass Fach Sportwissenschaft hätte eine Sonderrolle, die von den anderen Fächern in den Universitäten bei der Verteilung von Finanzen und Personal weiter so akzeptiert werden würde, irrt massiv und führt dazu, dass sich die Sportwissenschaft an vielen Standorten in die mittelfristige Abwicklung begibt. Diese Gefährdung von sportwissenschaftlichen Instituten können wir an einigen Universitäten beobachten und sehen dies natürlich mit großer Sorge. Wenn das Fach Sportwissenschaft sich als universitäres wichtiges Fach, das in den Universitäten angekommen ist, begreifen möchte, wird dazu eine deutliche Evaluationsbereitschaft gehören und die Akzeptanz der universitären Spielregeln gehören. Alles andere gefährdet mittelfristig den Bestand und die Einheit des Faches. Daher begrüße ich es sehr, dass das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in diesem Jahr die Entscheidung getroffen hat, die sportwissenschaftlichen Institute in Deutschland flächendeckend in das Hochschul-Ranking im Jahr 2009 aufzunehmen. Zurzeit findet gerade die Datenerhebung an den sportwissenschaftlichen Standorten statt.
Wie Sie wissen ist gegenüber dem CHE die Initiative von Seiten der dvs und seinem Präsidium ausgegangen. Dies ist nun nicht sonderlich überraschend, wenn man sich meine Berichte und Ankündigungen auf den diversen Versammlungen seit 2003 anschaut.
Eine Randbemerkung zum Sportwissenschaftlichen Fakultätentag an dieser Stelle: Wie Sie wissen, wäre eigentlich der Fakultätentag als institutionelle Vertretung der Sportwissenschaft für eine solche Initiative zuständig gewesen und hätte diese Frage intensiv, auch gegenüber dem CHE diskutieren müssen. Aber: Es gibt beim Fakultätentag keine Initiativen wie in früheren Zeiten und seit fast zwei Jahren existiert der Fakultätentag quasi nicht mehr - offenbar hat er sich durch Nichtaktivität selbst abgeschafft. Ich sage dies hier nur am Rande, aber ganz offen: Dies ist skandalös und eine Schwächung der institutionellen Sportwissenschaft insgesamt, insbesondere auch was die Vertretung unseres Faches und seiner Einrichtungen gegenüber der HRK und dem Allgemeinen Fakultätentag angeht.
Zurück zum CHE: Die Entscheidung des CHE nun nach dem Hochschulsport, der bereits vom CHE evaluiert wurde, auch die sportwissenschaftlichen Hochschuleinrichtungen zu evaluieren, ist ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung des Faches und seiner Einheit an den Universitäten. Denn eines ist doch dann klar: Das Fach wird mindestens für die Beobachter außerhalb der Universitäten und die Entscheider in den Präsidien in den Universitäten in die Reihe der großen visiblen universitären Fächer gestellt und behandelt werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag, natürlich beileibe nicht der einzige notwendige, damit das Fach Sportwissenschaft seine Position an den Universitäten weiterentwickeln kann.
Weiterentwicklung der sportwissenschaftlichen Zeitschriften-Kultur
Ein anderer Beitrag, den die dvs leisten kann, ist die Förderung der Kultur des systematischen Peer Review in wissenschaftlichen Zeitschriften. Diese Kultur ist deutlich weiterzuentwickeln - in der gesamten Sportwissenschaft und in all ihren Teildisziplinen. Bei einigen ist der Weiterentwicklungsbedarf größer, bei einigen ist er geringer, aber im Grunde fehlen verlässliche Zahlen für die Sportwissenschaft. Daher benötigen wir auch als sichtbares Zeichen sportwissenschaftlicher peer-reviewed Zeitschriften mindestens eine wie die Zeitschrift "Sportwissenschaft", die die gemeinsame Idee von Sportwissenschaft deutlich macht, aber wir brauchen auch für die Teildisziplinen einzelne spezialisierte referierte Zeitschriften wie die "Sport und Gesellschaft" oder die "Zeitschrift für Sportpsychologie". Die Aspekte "Einheit" und "Vielfalt" - auch auf der Zeitschriftenebene - parallel zu entwickeln und zu fördern, muss das Ziel der dvs sein. Und natürlich gilt hier auch bei Zeitschriften der Wettbewerbsgedanke. Auch diese kämpfen um Ressourcen, um Leser und um die besten Beiträge, um sich am Markt erfolgreich aufstellen zu können.
Zur Zeitschrift "Sportwissenschaft" ist zu sagen, dass dieses Objekt nach der Kündigung beim Hofmann-Verlag großes Interesse gefunden hat und wir - dvs, BISp und DOSB als Herausgeber der Zeitschrift - mehrere hochinteressante Angebote von renommierten Verlagen erhalten haben. Wir verhandeln gerade und hoffen Anfang 2009 die Zeitschrift im neuen Gewand mit den in der Wissenschaftslandschaft unverzichtbarer Features wie weltweite Netzverfügbarkeit der Beiträge und Recherchierbarkeit usw. präsentieren zu können.
Ich möchte schließen mit einem verhaltenen Optimismus in dieser operativen Frage. Wie ich auch einen verhaltenen Optimismus in die Weiterentwicklung der Sportwissenschaft als universitäres Fach habe. Seit Anfang der 70-er Jahre gibt es Sportwissenschaft an den Universitäten. Dies ist noch ein kurzer Zeitraum im Vergleich mit anderen etablierteren Fächern. Begreifen wir diese 40 Jahre als guten Start, die aber nichts darüber aussagen, ob es 2050, also in 40 Jahren die Sportwissenschaft in den Universitäten noch geben wird. Eine Fortschreibung des Altbewährten wird nicht mehr funktionieren. Wir haben mit neuen Konzepten und Ideen hart an der Weiterentwicklung und mancherorts am überleben der Sportwissenschaft zu arbeiten. Kooperation und faire Konkurrenz müssen gleichzeitig inhaltlich, strukturell und systematisch gefördert werden. Dazu sind wir alle, die dvs und alle Mitglieder aufgerufen.