15.-17. November 2018, Universität Gent
Das Denken, Erfahren und Trainieren des Körpers in Kampfkunst und Kampfsport
Einführung
Seit der ersten Jahrestagung der (seinerzeit noch in Gründung befindlichen) dvs-Kommission „Kampfkunst und Kampfsport“ hat sich ein alljährlicher Tagungsrhythmus etabliert. Ausgerichtet wurden Tagungen an den Universitäten Hamburg, Erlangen, Ludwigsburg, Mainz, Köln (DSHS) und Lüneburg. 2018 wurde erstmals ein nicht-deutscher Tagungsort gewählt, um der internationalen Perspektive des Forschungsfelds und der international agierenden dvs-Kommission Ausdruck zu verleihen. Tagungsausrichter Andreas Niehaus lud unter dem Banner „Experiencing, Training and Thinking the Body in Martial Arts and Martial Sports“ („Das Denken, Erfahren und Trainieren des Körpers in Kampfkunst und Kampfsport“) an die Universität Gent (Belgien).
Yasuhiro Sakaue von der Hitotsubashi Universität (Tokio, Japan) sprach in seiner Keynote „The Nationalization of the Body in Martial Arts“ über die Verklammerung von Kampfkunst und Nationalisierung. Vor allem anhand des Kend? wies er die Einflüsse politischen und sozialen Wandels auf Praxis und Theorie der Kampfkunst nach und vermutete faktengestützt eine zunehmende Nationalisierungsbewegung in den japanischen Kampfkünsten, die er auch mit der abnehmenden Anzahl jugendlicher Praktizierender im Zusammenhang sieht.
Die zweite Keynote, vorgetragen von Mario Staller von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (Gelsenkirchen), konzentrierte sich unter der Überschrift „The journey is the destination: An expertise-oriented perspective on thinking, experiencing and practicing martial arts, combat sports and self-defence“ demgegenüber auf verschiedene Facetten der Expertengenese in den Feldern Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung.
Panel 1: Perspektiven im Kampfsport
Die Vortragenden des ersten Panels adressierten diverse Bezüge zum asiatischen Kampfsport. Während die erste Präsentation das Weisheitsaxiom im asiatischen Kampfsport auf modernistische Effekte wie „invented tradition“ hin untersuchte, beleuchtete die zweite das bis dato wenig reüssierte Gefüge von medizinischer und kampfsportlicher (namentlich Kalarippayat) Ausbildung in Indien, die auf das gemeinsame ayurvedische Erbe zurückgeht. Der dritte Vortrag besprach klassisches kampfkunstphilosophisches Schrifttum, u. a. das Buch der Fünf Ringe von Musashi Miyamoto und Werke von Soho Takuan.
Panel 2: Biographien und Motive von Kämpfern
Mit seinem biographischen Forschungsprojekt „A Fighter’s Life“ eröffnete Peter Kuhn das zweite Panel. Darauf folgte die Ergebnisdarstellung des DAAD-geförderten Forschungsprojekts von Heiko Bittmann und Martin Meyer, welches die Motive, Motivunterschiede und -hintergründe japanischer und deutscher Karateka sowie Judoka beleuchtete. Das Panel schloss mit der durch Interviews und bislang unbekannten Quellen ermöglichten Rekonstruktion des Lebenswerks von Peter Paffen, seines Zeichens westdeutscher Nachkriegsboxer und Gründer des selbstbenannten Sportequipmentunternehmens.
Panel 3: Professionalisierungsdiskurse innerhalb der Polizei
Ein Katalog von sieben Beiträgen zur polizeilichen Professionalisierung, gestaltet von Swen Körner und Mario Staller, bildete das dritte und größte Panel. Die Beiträge deckten verschiedene Subthemen ab, von wahrgenommenen Realitäten im polizeilichen Einsatztraining bis zur Gewalt gegen Rettungskräfte.
Panel 4: Emanzipation und Geschlecht im Kampfsport
Zwei der vier Beiträge dieses Panels behandelten die Rollenmodellierung von MMA-Athleten. Nachdem von Nick Dreyhaupt zunächst einen Blick auf soziogeschlechtliche und sozioleibliche Aspekte im gemischten MMA-Training geworfen wurde, analysierten Martin Saldano und Leo Istas im zweiten Vortrag die mediale Repräsentation von MMA-Athletinnen in Deutschland. Die dritte Präsentation schloss sich thematisch an, indem Marthe Heidemann die aktuelle Diskussion um die Obligatorik von Nummern-Girls im deutschen Boxen aufarbeitete, wozu sie Positionen von Facebooknutzerinnen und -nutzern in einer qualitativen Studie untersucht hatte. Der letzte Panelbeitrag von Andrea Kraus et al. untersuchte geschlechtsspezifische Qualitätskriterien in Selbstverteidigungskursen, die durch Experteninterviews generiert worden waren.
Panel 5: Kampfsporttraining
Während die Ausbildung von Kampfsporttrainern Thema des Beitrags von Franziska Bauer und Leo Istas war, warf die zweite, von Mario Staller und Swen Körner gestaltete Präsentation, Fragen zur Komplexitätsreduktion in Selbstverteidigungstrainingsszenarien auf. Der dritte Vortrag (Leo Istas et al.) zeigte Möglichkeiten auf, wie durch Boxtraining die Geschicke von Fußballtorwarten verbessert werden können. Im letzten Panelbeitrag veranschaulichten die Referenten Trainingssequenzen aus dem Genre der Superheldenfilme.
Panel 6: Sozialverhalten und soziale Interaktion im Kampfsport
Das sechste Panel konkretisierte Perspektiven von Gestaltern und Zuschauenden im Kampfsport. Benjamin Bonn et al. wiesen auf die subjektiven Theorien hin, die Spieler von Kampfsportvideospielen hinsichtlich der repräsentierten Stile bilden. Anja Marquardt begleitete den Kampfsportzuschauenden im empathischen Nacherleben von Training und Zweikampf, während Fabienne Ennigkeit und Franziska Beek Reflexionsprozesse von Schülerinnen und Schülern beim Judo im Sportunterricht im Hinblick auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen untersuchten. Schließlich entwarf Jakob Fruchtmann eine Grammatik zur sozialen Interaktion auf der Basis reziproker Rhythmusveränderungen im Boxsport.
Panel 7: Ökonomie des Kampfsports: Die „Ware Kampfkörper“
Die Vorträge dieses Panel skizzierten die kommerzielle Verwertung des Kampfsports aus drei Perspektiven: Zum einen auf massenmedialer Ebene in der Betrachtung des gleichermaßen höchstantizipierten wie höchstdotierten Kampfes zwischen MMA-Kämpfer Conor McGregor und dem ungeschlagenen Boxweltmeister Floyd Mayweather als Systemkampf von MMA und Boxen, zum zweiten auf kleinunternehmerischer Perspektive das Dienstleistungssegment Kampfsport in seinen semantischen Spielarten Sport, Kunst und Verteidigung, und zum dritten auf Kampfsportstilebene Vermarktungserzählungen als Instrument der Krav-Maga-Expansionsbestrebungen.
Posterpräsentationen
Neben den über dreißig Vortragsbeiträgen wurden außerdem drei Posterpräsentationen gezeigt. Werner et al. stellten ihre Ergebnisse zur visuomotorischen Adaptierung von Kampfsportlern und Profiläufern vor. Das zweite Poster von Peter Kuhn erläuterte Ungereimtheiten in den Ki/Qi-Paradigmen asiatischer (Kampfkunst-)Kulturen, während das dritte (Leo Istas et al.) ein Schlaglicht auf die Genese des deutschen Boxsports warf.
Resümee
Die Konferenz unterstrich durch den (idyllischen) Tagungsort Gent, durch die international stark besetzten Panels, u. a. mit Yasuhiro Sakaue (Tokio) und Ricardo Mak (Hong Kong), als auch durch die mehrheitlich englischsprachigen Vorträge den wachsenden internationalen Anspruch der dvs-Kommission. Als Agenda bleibt vor allem, die Nachwuchsarbeit sowie interdisziplinäre Kooperationen auszubauen.
Kommissionsorganisatorisch ist zu vermerken, dass mit Mario Staller ein exzellent ausgewiesener Wissenschaftler dem bisherigen Kommissionssprecher Swen Körner nachfolgt.
Außerdem wächst das junge, kommissionseigene eJournal JOMAR (www.j-o-mar.com) zusehends zu einem namhaften Publikationsorgan heran.
Die Jahrestagung 2019 wird vom 3.-5. Oktober im niedersächsischen Vechta stattfinden und einen pädagogisch-didaktischen Schwerpunkt haben.